Poesiefilme lassen Texte bildhaft werden. Oftmals geschieht dies durch die Inszenierung von Schrift: etwa als Einblendung eines ganzen Textes, einzelner Ausschnitte, eines Schriftbilds oder in Form von Untertiteln.
Die elektronischen Medien haben das Erscheinungsbild der statischen, gedruckten Schrift erweitert. Seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich die Lektüre dynamischer Schriften und Schriftbilder neben der gedruckter Schriftmedien etabliert und ist zur Alltagserscheinung geworden. Von bewegten Schriftbannern im urbanen Raum bis zum animierten GIF auf dem Bildschirm ist uns die bewegte Schrift heute vertrauter denn je.
Den Film hat dies von Anfang an betroffen. In den ersten Jahrzehnten der Filmgeschichte unterschieden sich die »Poetryfilme« in ihrem Schriftgebrauch zwar noch nicht von anderen Filmen, emanzipierten sich dann aber nicht zuletzt durch ihren experimentellen Umgang mit dem bewegten Textbild.
Neben dem schriftbasierten Poesiefilm stellt der Schriftfilm eine Sonderform dar, in welchem die Inszenierung von Schrift als solche unabhängig von einer lyrischen Vorgabe zum Thema und Bedeutungsträger des Films wird. Das ZKM in Karlsruhe hat diese filmische Sonderform 2013 in einer Ausstellung gewürdigt und ihre ganze Vielfalt aufgezeigt. Natürlich sind nicht alle Schriftfilme gleich Poesiefilme, doch arbeiten immer mehr Poesiefilme mit der Inszenierung von Texten, Worten, Buchstaben und Geschriebenem.
Gerade deswegen kommt dem Wissen von Kalligrafen, Typografen, Layoutern, Buchgestaltern, Grafik- und Motion Graphics Designern eine wichtige Bedeutung auch jenseits der traditionellen Druckmedien zu. Anknüpfend an die ZKM-Ausstellung möchte das Kolloquium das Augenmerk auf konkrete Fragen der Schriftgestaltung legen und eine Brücke zwischen Filmemachern und Typografen schlagen.
Das Kolloquium widmet sich dazu folgenden Fragen: Was unterscheidet die Wirkung eines Fonts im Buch von der im bewegten Bild? Welcher Bedeutungsunterschied bzw. welche zusätzlichen Bedeutungen und Botschaften ergeben sich daraus? Warum hat sich die/der Filmemacher/in für diesen und nicht für einen anderen Font entschieden? Wie ist die Schrift in die übrigen Bildelemente eingegliedert, und in welchem Maße wird die Schrift damit selbst zum Protagonisten des Films? Ist sie lediglich Verständnishilfe, Bedeutungsträger oder Raum- und Gestaltungselement? Welche Funktion übernimmt die Inszenierung von Schrift neben der Darbietung des Textes? Wie ist das Verhältnis von gelesenem Text zum Sound, Voice-over und anderen visuellen Elementen? Wie wird die Spannung aus Lesen, Sehen und Hören des Textes ästhetisch gelöst?
P R O G R A M M
Samstag, 20. Mai 2017
Druckgrafisches Museum, Scherfgasse 5, 99423 Weimar
10:00–10:15 Uhr: Aline Helmcke, Guido Naschert (Weimar): Einführung und Moderation
10:15–11:00 Uhr: Christine Stenzer (München): Der Poesiefilm als Schriftfilm. Ein filmhistorischer und ‑ästhetischer Überblick
11:00–11:45 Uhr: Thomas Zandegiacomo Del Bel (Berlin): Schriftfilme und Dichtkunst
11:45–12:30 Uhr: Dominik Ziller (Berlin): Vom Bleisatz zum Datensatz. Lyrik im digitalen Raum neu denken
12:30–13:15 Uhr: Jay Rutherford (Weimar): Move Me – developments in the designer’s toolbox (Vortrag in englischer Sprache)
R E F E R E N T E N
Christine Stenzer arbeitet als freiberufliche Projektmanagerin, Kuratorin, Herausgeberin und Autorin mit einem thematischen Fokus auf Film, Neue Medien, Kunst und Investment. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe sowie als assoziierte Wissenschaftlerin am xm:lab, Experimental Media Lab der Hochschule der Bildenden Künste Saar tätig. Ihre filmwissenschaftliche und medientheoretische Dissertation Hauptdarsteller Schrift (2010) stellte die Grundlage des internationalen Forschungs‑, Editions- und Ausstellungsprojekts Schriftfilme // Typemotion Films (2012–2015) dar, dessen Co-Kuratorin und Co-Herausgeberin Frau Stenzer war. Im Rahmen des Projekts realisierte sie mit Förderung der Kulturstiftung des Bundes und Goethe-Instituten weltweit Ausstellungen, Symposia, Workshops und Vorträge.
Thomas Zandegiacomo Del Bel lebt in Berlin und hat Germanistik, Romanistik sowie Medien- und Kommunikationswissenschaften in Mannheim studiert. Er arbeitet als freier Wissenschaftler am ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe und in der Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen in Berlin. Seit 2006 ist er künstlerischer Leiter des ZEBRA Poetry Film Festival und Filmkurator für interfilm – Internationales Kurzfilmfestival Berlin. Außerdem ist er als Jurymitglied bei internationalen Filmfestivals tätig.
Dominik Ziller lebt und arbeitet in Berlin als freischaffender Designer und Verleger. Er war tätig in verschiedenen Designagenturen, zuletzt als Senior Art Director. Seit 2005 führt er gemeinsam mit Andrea Schmidt und Jo Frank das Verlagshaus Berlin. 1998 gründete er zusammen mit Oliver Hummel den Kleinverlag Ecce Homo, aus dem später das Designbüro nikolaushaus hervorging. 2002 entstand der Kurzfilm Familie Sonnenschein, welcher mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde. Außerdem konzipierte Dominik Ziller verschiedene Musik- und Kurzfilmprojekte, zuletzt für den deutsch-französischen Sender Arte. Zusammen mit dem Illustrator Felix Scheinberger und Jo Frank ist Dominik Ziller Initiator des deutsch-israelischen Austausches Alltag. 2009 und 2011 war er Gastdozent an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem. Die von ihm gestaltete Reihe Edition ReVers wurde von der Stiftung Buchkunst als eine der »Schönsten Deutschen Bücher 2015« ausgezeichnet.
Jay Rutherford was born in Canada into a family of sign-painters and opticians. In 1993 he was offered a professorship in Visual Communications at the Bauhaus University Weimar. Jay is active in international co-operation and exchange programmes and was instrumental in developing the Bauhaus University’s MFA in Visual Culture programme. He has been active on design juries and is a member of professional associations related to typography, design history and information design. He has spoken at numerous conferences and symposia: Vision Plus (Austria), TypeCon (USA), ATypI (international), »Looking Back, Looking Forward« (Bangalore, India), and the St. Bride’s Conferences (London) and has taught typography and information design in Canada, the United States, France, Germany, Austria, India and China.